„Mein erstes Mal“: Feuerwehrmann Stefan Freudenstein im Interview

Das erste Mal ist etwas ganz Besonderes. Ob der erste Auftritt eines Musikers, das erste Tor eines Fußballers, der erste Fall eines Juristen. Solche Momente bleiben in Erinnerung und können Menschen ihr Leben lang prägen. Um solche einschneidenden Erfahrungen geht
 es in der PNP-Interview-Serie „Mein erstes Mal“. Heute: Feuerwehrmann Stefan Freudenstein (38). 

Ein Interview von Johannes Munzinger | PNP

Wir alle erleben zum ersten Mal eine Pandemie. Wie geht es Ihnen?

Mei, ich komme mit den Einschränkungen eigentlich ganz gut zurecht. Ich habe recht junge Kin- der, meine Tochter ist sechs, mein Sohn drei, also sind wir sowieso nicht so viel unterwegs wie früher. Eine Schwierigkeit war die Organisation, als der Kindergarten ausfiel und immer einer auf die Kleinen aufpassen musste, aber das haben wir auch hingekriegt.

Wie wirkt sich Corona auf die tägliche Feuerwehrarbeit aus?

Der Einsatzdienst läuft normal weiter, aber der Übungsdienst ist momentan komplett gestrichen. Vor der Krise war es auch normal, dass wir uns nach den Einsätzen noch zusammengesetzt haben, jetzt gehen wir alle sofort nach Hause. Aber da wir so viele Einsätze haben, war es auch nicht so, dass wir uns jeden Tag noch unbedingt privat treffen mussten.

Unser Interview hat sich um eine Stunde verschoben, weil Sie zu einem Einsatz mussten. Was war los?

(lacht) Drei oder vier Minuten, bevor Sie anrufen wollten, hat sich der Pieper gemeldet. Fehlalarm bei einer Brandmeldeanlage, also nichts Dramatisches.

Das gehört wohl zu Ihrem Alltag.

Ja. Ich bin ja bei der Hauptwache. Wir hatten heuer schon 378 Einsätze, fast so viele wie im gesamten letzten Jahr, als es 385 waren. Uns wird auf jeden Fall nicht langweilig, es ist immer was geboten, auch wenn es oft zum Glück nur Kleinigkeiten sind. Aber die gehören auch dazu. 

Wenn Sie zurückdenken: Was ist Ihre erste bewusste Erinnerung an die Feuerwehr?

Bei mir war die Feuerwehr schon immer präsent, mein Vater war ja 40 Jahre aktiv dabei. Der Papa hat auch oft von Einsätzen erzählt. Alles hat er mir bestimmt nicht erzählt, als ich noch ein Kleinkind war, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ihm die Arbeit für die Feuerwehr Spaß macht, und dass er sich gefreut hat, wenn er anderen helfen konnte. Ich weiß noch, dass die Feuerwehr einmal meinen Kindergarten besucht hat, als ich fünf Jahre alt war.

Wann kam Ihnen dann zum ersten Mal der Gedanke, dass Sie zur Feuerwehr wollen?

Das kann ich gar nicht sagen, weil es eigentlich schon immer klar war, dass ich auch zur Feuerwehr gehe, schon mit drei oder vier Jahren. Aber der Papa hat mich nie dazu getrieben, er hat mir das von Anfang an freigestellt.

Wann ging Ihre Feuerwehrkarriere dann los?

Sobald es ging, also mit fast genau 14 Jahren. Damals gab es ja noch keine Minis, die mit acht beginnen dürfen, und keine Jugendfeuerwehr für Zwölfjährige, also waren 14 Jahre das Minimum. Ich habe im Februar Geburtstag und durfte schon Mitte Januar, als ich noch nicht ganz 14 war, bei einer Übung dabei sein.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag?

Ich weiß noch, dass es ein Übungsfreitag an einem kalten Winterabend war. Was genau wir geübt haben, weiß ich leider nicht mehr.

Und wie haben Sie sich gefühlt? Immerhin wussten Sie damals ja schon seit elf Jahren, dass Sie zur Feuerwehr wollen.

Das war ein super Gefühl, als ich endlich dabei sein durfte, ich war schon stolz. Ich hatte aber auch den Vorteil, dass ich über meinen Vater die meisten Feuerwehr-Kameraden schon gut kannte, die gingen bei uns daheim ein und aus. Meine Eltern hatten eine Landwirtschaft mit einem Mietshaus, in dem damals einige Feuerwehrler gewohnt haben, die man fast jeden Tag gesehen hat. Für einen, der komplett neu dazukommt, ist es bestimmt schwieriger.

Wann sind Sie dann zu Ihrem ersten Einsatz ausgerückt?

Zum Einsatz ausrücken darf man ab 16, ab da bin ich dann auch mitgefahren. Am Anfang natürlich eher in zweiter Reihe, also wurde ich nirgendwo eingesetzt, wo es wirklich gefährlich hätte werden können. Ich weiß aber nicht mehr, was mein erster Einsatz war. Wahrscheinlich nix Spektakuläres, sonst hätte ich es mir bestimmt gemerkt (lacht).

Was denkt man, wenn man zum ersten Mal im Feuerwehrauto sitzt und zum Einsatz fährt?

Ich war megastolz. Davor habe ich meinen Piepser bekommen. Und sobald man den Piepser hat, fiebert man auf den ersten Einsatz hin, auf den Moment hat man ja seine ganze Ausbildung lang hingearbeitet.

Was dachten Sie, als der Piepser dann losging?

Das hört sich vielleicht blöd an, aber ich habe mich im ersten Moment schon gefreut, dass ich endlich ausrücken durfte. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes behaupte. Aber ich habe natürlich bei aller Vorfreude gehofft, dass es nix Ernstes ist.

Was war dann der erste wirklich ernste Einsatz?

Genau kann ich es nicht sagen, aber meine ersten Erfahrungen, wo es wirklich brenzlig für Menschen wurde, waren Verkehrsunfälle. Da war ich noch keine 18 und die Kollegen haben darauf geachtet, dass ich nicht ganz vorne dabei bin.

Was war ihr erster richtiger Brand, bei dem Sie mitgelöscht haben?

Ein Stadelbrand in Heining, ich war 17. Ich erinnere mich noch, wie ich von außen reingespritzt habe. Da konnte ich nicht viel falsch machen, weil der Wasserschaden in dem Fall egal war.

Wann haben Sie zum ersten Mal einem Menschen das Leben gerettet?

Als ich 18 oder 19 war, bin ich zu einem Verkehrsunfall in der Nähe von Jägerwirth ausgerückt, da war ein Lkw-Fahrer die Böschung runtergefahren und war eingeklemmt. Der Lkw lag auf der Seite, der Arm des Fahrers hing aus dem Fenster und steckte unter dem Fahrzeug fest. Es war ziemlich kompliziert, den Mann da rauszuschneiden, aber wir haben es geschafft.

Wie fühlt man sich nach so einem Einsatz, bei dem es auch Tote hätte geben können? Ist man stolz oder eher geschockt?

Während des Einsatzes arbeitet man, blöd gesagt, seinen Stiefel runter, für solche Momente üben wir ja. Danach ist man stolz, weil man sieht, dass die Ausbildung sich gelohnt hat. Glücklich würde ich das Gefühl aber nicht nennen, der Mann war ja doch schwer verletzt.

Wahrscheinlich ist jeder Feuerwehrmann irgendwann mit dem Tod konfrontiert. Wann war das bei Ihnen zum ersten Mal der Fall?

Wir haben leider relativ viele Tote pro Jahr bei den Einsätzen der Hauptwache, durchschnittlich zwischen acht und zehn im Jahr. Ich war also schon als Jugendlicher mit dem Tod konfrontiert, auch wenn ich in der „zweiten Reihe“ eingesetzt wurde. Das lässt sich nicht verhindern. Mir ist aber keiner richtig in Erinnerung geblieben. Das gehört eben dazu.

Es gibt aber auch Einsätze, die in Erinnerung bleiben. Vor vielen Jahren ist mal bei einem Unfall ein Kleinkind aus dem Auto geschleudert worden und dann verstorben. So etwas vergisst man nicht. Oft ist es auch so, dass man eine Person aus einem Auto befreit, die dann im Krankenhaus stirbt. Das darf man nicht zu nah an sich ranlassen. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man das nicht in sich hineinfrisst, sondern mit seinen Kameraden darüber spricht. Darauf legen wir großen Wert.

Rettungskräfte haben in jüngerer Zeit immer wieder mit Gaffern und Beleidigungen zu kämpfen. Sie auch?

Das hat schon zugenommen in den vergangenen Jahren, zumindest nimmt man es bewusster war. Es passiert uns auch, dass wir auf dem Weg zu einem Autobahnunfall sind und dann von Gaffern aufgehalten werden, dass Leute Fotos machen und uns dabei behindern. Besonders undankbar ist es, wenn man nach Unfällen den Verkehr regelt oder Straßen sperrt. Da darf man sich ab und zu ganz schön derbe Sprüche anhören. Aber wir müssen drüberstehen. Es bringt ja nichts, sich darüber aufzuregen. Natürlich könnten wir ab und an bei gröberen Beleidigungen eine Anzeige stellen, aber was würde das bringen? Ich denke mir dann einfach: „Hau ab, du Depp“ und mache meine Arbeit.

Denken Sie, dass der Feuerwehr heute weniger Wertschätzung als früher entgegengebracht wird?

Eigentlich nicht. Wenn man die Umfragen so liest, sieht man, dass wir noch immer ein recht hohes Ansehen genießen. Und meistens werden wir mit offenen Armen empfangen, gerade bei kleineren Einsätzen wie zum Beispiel Türöffnungen oder Tierrettungen. Es gibt auch andere Fälle, aber die meisten Leute wissen, was sie an der Feuerwehr haben.

Freuen Sie sich schon auf den Mo- ment, wenn Sie eines Ihrer Kinder in Feuerwehr-Uniform sehen werden?

(lacht) Es wäre auf jeden Fall schön, wenn es so kommt. Die Kinder sind jedenfalls sehr interessiert, wir fahren ab und zu am Sonntag zur Wache und schauen uns die Feuerwehrautos an oder setzen uns kurz rein. Der Fuhrpark an Spielzeug-Feuerwehrfahrzeugen daheim ist auch recht ausladend. Ich hoffe, dass meine Kinder zur Feuerwehr gehen, aber ich werde sie nie dazu zwingen, das würde nix bringen. Ich will meinen Kinder das auf den Weg mitgeben, was mein Vater mir beigebracht hat: Macht etwas, was euch Freude und Spaß bringt, aber dann g’scheid, mit Ehrgeiz und Einsatz. Ich denke, das ist eine wichtige Lektion, ob für den Beruf oder das Privatleben.

Irgendwann werden Sie zum letzten Mal die Uniform ausgezogen haben. Wie sollen sich die Menschen dann an den Feuerwehrmann Stefan Freudenstein erinnern?

Hoffentlich gut (lacht). Es war mir immer wichtig, einen guten Umgang mit den Leuten zu pflegen. Es wäre schön, wenn sich die Leute daran erinnern. Und ich würde mir wünschen, dass ich auch in der Feuerwehrrente, wenn ich nicht mehr ausrücken darf, mit den alten Kameraden in Kontakt bleibe und mit ihnen über die Vergangenheit reden kann. Das hat mein Vater so gemacht. Ich glaube, dass ich viel richtig gemacht habe, wenn es bei mir auch so wird.

Bilder:

Mitmachen
Facebook
Instagram