„Corona schwebt wie ein Damoklesschwert über uns“

Dienst am Menschen, aber mit Abstand: das ist schwierig. Die Freiwilligen Feuerwehren kämpfen schon länger mit Nachwuchspro-
blemen, nun auch noch mit Corona. Stadtbrandrat Andreas Dittlmann erzählt davon im Passauer Gespräch – und erklärt, warum er die Arbeit trotzdem mag.

Im Interview mit Agnes Striegan

Herr Dittlmann, Corona bedeutet Abstand halten, keine großen Gruppen, ständig neue Vorgaben. Wie beeinträchtigt das die Arbeit der Feuerwehr?
Die Vorgaben für die Feuerwehr sind wesentlich schärfer als die für Schulen, private Feiern oder die Bundesliga, weil wir als systemrelevant eingestuft sind. Corona hängt wie ein Damoklesschwert über uns: Wenn wir einen Fall haben, werden wir unter Quarantäne gestellt. Damit nicht gleich die ganze Feuerwehr ausfällt, wenn ein Corona-Fall auftreten sollte, üben wir immer in denselben Kleingruppen. Und benachbarte Feuerwehren üben nicht zusammen, damit sie im Notfall das Nachbargebiet mit abdecken können. Aber die Freiwillige Feuerwehr besteht aus normalen Menschen, die auch privat unterwegs sind. Wofür wir überhaupt kein Verständnis haben, ist, wenn andere sich gar nicht um die Vorgaben kümmern, sei es in überfüllten Ersatzbussen oder auf studentischen Feten.

Bei einem Einsatz sind auch nicht unbedingt Corona-Hygiene-Bedingungen gegeben.
Bei einem Einsatz ist das alles Makulatur. Anders als Berufsfeuerwehren haben wir keinen Schichtbetrieb – wenn Hilfe gebraucht wird, kommt, wer Zeit hat. Auch Leute aus verschiedenen Gruppen.

Was tun Sie, um sich und andere bei einem Einsatz vor einer Infektion zu schützen?
Wir haben die Besetzung der Fahrzeuge verringert, der Mittelsitz bleibt zum Beispiel frei. Bei Kontakt mit einem Patienten müssen wir FFP2-Schutzmasken und Augenschutz tragen, außerdem die klassischen Aidshandschuhe. Sonst Textilmasken. Und die Einsatzkleidung kommt nach einem Einsatz sofort in die Wäsche. Aber es ist schwierig: Wir leisten Dienst am Menschen – aber müssen Abstand wahren.

Hatten Sie schon einen Corona-Fall bei der Passauer Feuerwehr?
Nur ganz zu Beginn, aber der hatte nachweislich keinen Kontakt zu anderen Feuerwehrlern. Zum Glück.

Wegen Corona sind die Menschen weniger unterwegs, mehr zu Hause. Hat sich die Art Ihrer Einsätze dementsprechend verändert?
Während des Lockdowns hatten wir erstaunlich wenig Einsätze. Gefühlt holen wir das aber jetzt nach: Wir sind mittlerweile mindestens auf dem Level vom Vorjahr, nicht nur in Passau. Was wegfällt, sind die klassischen Nachtschwärmer-Einsätze Freitag- und Samstagnacht, die Alkoholisierten. Die gehen uns aber auch nicht ab! Ansonsten ist alles dabei. Es ist keine ruhige Zeit – obwohl das gut wäre, weil man Übungen planen kann, Einsätze aber nicht.

Schon vor Corona hatten die Freiwilligen Feuerwehren mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Wie sieht das jetzt aus?
In Bayern hat kaum eine Feuerwehr nicht mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Wenn jemand aus dem Vollen schöpft, dann ist das nur eine Momentaufnahme. Die von vielen an den Tag gelegte Selbstverständlichkeit, mit der die Feuerwehr gerufen wird, wird irgendwann problematisch werden. Aber noch funktioniert es in Passau und in ganz Bayern. In Passau haben wir etwa 600 aktive Feuerwehrler und 90 Jugendliche.

„Mit dem Schuldruck fehlt den Kindern die Zeit.“

Woher kommt der Nachwuchsmangel?
Man hatte den demografischen Wandel lange nicht so im Blick. Das G8 hat auch stark durchgeschlagen: Die Freizeit der Kinder ist deutlich weniger geworden. Wobei natürlich nicht nur Gymnasiasten bei der Feuerwehr sind. Der Schuldruck ist so groß, dass viele Jugendliche und ihre Eltern sagen, ein Haupthobby ist noch möglich − aber wenn dann noch die Feuerwehr dazukommt, dann fehlt den Kindern die Zeit.

Wie zeitaufwendig ist denn das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr?
Es gibt da so einen alten Spruch: bei der Freiwilligen Feuerwehr ist der Eintritt freiwillig und der Austritt – dazwischen ist Dienst. Aktive Feuerwehrler rücken zu jeder Tages- und Nachtzeit aus. Aber natürlich engagieren sich alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Einen Abend alle 14 Tage braucht man mindestens zum Üben. Außerdem kommt es auf die Größe der Wehr an, wie viel Spezialgerät sie hat. Denn von der Feuerwehr erwartet man professionelle Hilfe. Dafür brauchen wir professionelles Gerät, das bekommen wir von der Stadt. Aber um das bedienen zu können, muss damit auch geübt werden. Und dann ist das Feuerwehrhaus für viele Jugendliche zugleich auch der Jugendtreff, oder die Erwachsenen schauen da zusammen Fußball – in normalen Zeiten.

Bleiben die, die sich in jungen Jahren bei der Feuerwehr engagieren, dann wenigstens dabei?
Es gibt eine Faustformel: Drei Kinder in der Kinderfeuerwehr ergeben einen Jugendlichen in der Jugendfeuerwehr, und drei Jugendliche in der Jugendfeuerwehr ergeben einen aktiven erwachsenen Feuerwehrler. Man braucht also neun Kinder, um am Ende einen Aktiven zu bekommen. Da spielt mit rein, dass sich die Interessen ändern, dass Kinder und Jugendliche umziehen oder eine Ausbildung anfangen. In Städten ist das Problem noch gravierender.

Warum?
In den Städten ist die Anonymität größer. Und speziell in Passau ziehen viele weg, wenn sie eine Familie gründen, weil der bezahlbare Wohnraum knapp ist. Auf dem Dorf gehört es fast noch zum guten Ton, beim Fußballverein, beim Schützenverein oder bei der Feuerwehr zu sein. Andererseits sind die Menschen in ländlichen Gebieten tagsüber weniger daheim, weil die Arbeitsorte immer weiter von den Wohnorten entfernt liegen. Und Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter für Feuerwehreinsätze freistellen, werden weniger. Schichtarbeit lindert das Problem etwas; auch, dass mehr Mütter für die Feuerwehr gewonnen werden. Vielleicht könnte die Tagesverfügbarkeit jetzt auch mit dem Home-Office besser werden.

Also, Corona und Feuerwehrnachwuchs. Wie genau ist da der Zusammenhang?
Die Grundausbildung der Jugendlichen ist nur eingeschränkt möglich. Die Jugendlichen zwischen 12 und 18 üben in kleinen Gruppen bei ihrer jeweiligen Wehr. Das ist deswegen problematisch, weil sie so nur begrenzt verschiedene Fahrzeuge kennenlernen oder manche Übungen mehr Personal benötigen – das haben wir bislang mit der überörtlichen Ausbildung abgefangen. Richtig leiden müssen die Kinderfeuerwehrler zwischen 8 und 11. Da wollten wir den Schulstart abwarten, aber wenn ich mir die letzten Tage so ansehe, wird es für die wahrscheinlich ein Null-Jahr. Alle Kindergruppenstunden liegen auf Eis.

Und bei den erwachsenen, aktiven Feuerwehrlern?
Wegen Corona hat an den Staatlichen Feuerwehrschulen lange gar kein Lehrgang stattgefunden – jetzt findet wieder ein Viertel statt. Vor allem tut weh, dass die Atemschutzausbildung bis Jahresende abgesagt ist. Das sind die, die man braucht, um in verrauchte Zimmer vorzudringen oder einen Kesselwagen am Güterbahnhof zu flicken. Hier kommt es zu einem massiven Ausbildungsstau, den wir hoffentlich 2021 abbauen können. Im Übrigen ist die Belastung für die Ausbilder gigantisch, weil bei den Ausbildungen jede Gruppe in drei aufgeteilt werden muss. Wir fahren auf Sicht – mit angezogener Handbremse.

Wie lange dauert die Ausbildung zum aktiven Feuerwehrmann oder zur aktiven Feuerwehrfrau?
Nach anderthalb bis zwei Jahren hat man den Grundstock. Bis man tatsächlich ausgelernt hat, dauert es zweieinhalb bis drei Jahre – wobei es immer wieder Neues zu lernen gibt. Das ist für viele zu langwierig: Sie schlüpfen schnell mal in Gummistiefel und helfen beim Hochwasser oder begrüßen Flüchtlinge am Bahnhof. Aber sie engagieren sich nicht langfristig.

Wie steuern die Feuerwehren dem Mitgliederschwund entgegen?
Viele haben reagiert und Kinder-Feuerwehren geschaffen. Deren Existenz wurde zudem ins Feuerwehrgesetz aufgenommen. Damit besteht nun auch für sie Unfallschutz wie für die Erwachsenen. Und wir appellieren an die Politik, das Ehrenamt attraktiver zu machen, es etwa bei der Rentenversicherung anzurechnen. Noch sind den Sonntagsreden aber kaum Taten gefolgt.

„Es gibt auch viele schöne Momente.“

Eine Aktion der Politik ist die Feuerwehraktionswoche, die der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann vorletzten Freitag erstmals online eröffnet hat. Die nächsten zwölf Monate stehen unter dem Motto „Helfen ist Trumpf“ – Ziel ist, den Wehren neue Mitglieder zu verschaffen. Was sagen Sie zu der Aktion?
In normalen Zeiten findet während dieser Woche bei vielen Wehren der Tag der offenen Tür statt. Sie zeigen spektakuläre Einsatzübungen oder fahren große Werbekampagnen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. In diesem Jahr geht das nicht.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit ausrücken, um meine Gesundheit zu riskieren: Warum sollte ich mich überhaupt bei der Feuerwehr engagieren?
Ich muss vorsichtig sein: Wenn ich das so schildere, dann klingt das echt abschreckend! Früher war es eine Ehre, bei der Feuerwehr zu sein, da war das lokale who is who vertreten. Und es gibt auch viele schöne Momente. Die dankbare ältere Frau, deren Keller man ausgepumpt hat, die das allein nicht geschafft hätte. Die Umweltkatastrophe, die verhindert werden konnte, oder wenn wir ein eingeklemmtes Unfallopfer aus einem Auto befreut haben und dann erfahren, dass derjenige wieder genesen ist. Das gibt Motivation. Und natürlich das Soziale, das Kameradschaftliche.

Wobei das momentan auch nicht so möglich ist.
Nein, das ist wie bei anderen Ortsvereinen. Nur, dass wir uns absolut aufeinander verlassen können müssen. Bei einem Einsatz ist unsere körperliche Unversehrtheit davon abhängig, dass alles funktioniert. Feuerwehr ist reine Teamarbeit.

Immer öfter liest man von Menschen, die die Arbeit der Einsatzkräfte sogar behindern, die gaffen und pöbeln. Wie erleben Sie das?
Oder nehmen Sie den Fall, dass ein Feuerwehrler die Straße absperrt, und ein Pkw-Fahrer wird nicht nur verbal aggressiv, sondern gibt Gas, so dass der Feuerwehrler zur Seite springen muss. Das ist der Egoismus in unserer Gesellschaft, der immer stärker wird. Der Einsatz des Einzelnen wird meist nicht honoriert. Oft ist auch Alkohol ein Faktor. Manchmal kommt auch der Vorwurf, neue Einsatzfahrzeuge seien nur rotes Spielzeug für Erwachsene. Dazu sage ich: Feuerwehr ist so lange Luxus, solange man sie nicht braucht. Trotzdem, die Feuerwehr genießt ein wahnsinnig hohes Ansehen, und das aus meiner Sicht zu Recht.

In den USA wüten seit Wochen verheerende Waldbrände, einige davon zählen zu den größten seit Beginn der Aufzeichnungen 1930. Bereiten Sie sich auf ähnliche Szenarien auch hier vor?
Tatsächlich haben unsere zukünftigen Fahrzeuge Waldbrandausrüstung. Sturmschäden, Borkenkäfer, Trockenheit – das sind alles Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Extreme Wetterkapriolen sind eine Herausforderung. Aber auch die Trockenheit: Wenn die Donau früher niedrig war, war sie vielleicht bei fünf Metern, jetzt sind es eher vier. Da muss man erst mal runter, um Wasser anzusaugen. In Teilen des Stadtgebiets wird der mobile Hochwasserschutz kommen – und auch hier wird selbstverständlich neben den Bauhof und der THW wieder die Feuerwehr gefordert sein.

Wie hat sich Ihre Arbeit noch verändert?
Das Leben wird stetig komplexer, somit auch unsere Einsätze. Ein Beispiel: Früher gab es Diesel und Benziner. Heute muss man bei einem Pkw-Brand Verbrenner, Hybride, Wasserstoff- und Erdgas-Autos bewältigen können. Früher hat man seine nach Rauch riechende Einsatzkleidung nach einem Brandeinsatz so in den Schrank gehängt, damit war man der Held – heute weiß man, dass Brandgase hochgiftig sind. Abschließend kann ich nur sagen, bei der Feuerwehr gibt es für alle eine Aufgabe, und wenn man mal den Weg gefunden hat, macht die Arbeit viel Spaß. Das Schönste ist, Menschen zu helfen. Das zu beschreiben ist schwierig, denn was man mit dem Herzen macht, kann man mit Worten meist nicht gut erklären.

Interview: Agnes Striegan | Foto: Striegan

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